Rupert von Plottnitz ist Politiker von Bündnis 90/Die Grünen, war hessischer Landtagsabgeordneter, Fraktionsvorsitzender und Justizminister. Nach seiner Zeit in der Politik ist er heute wieder Rechtsanwalt in einer Frankfurter Kanzlei – wie damals vor über dreißig Jahren, als er im Stammheimer Baader-Meinhof-Prozess den RAF-Terroristen Jan-Carl Raspe verteidigte. Als Strafverteidiger war er auch eingeladen vom Gießener Verein Criminalium in das Hörsaalgebäude Recht und Wirtschaft der Justus-Liebig-Universität, in das zahlreiche Zuhörer gekommen waren, um den Zeitzeugen zu hören.
Rupert von Plottnitz verstand es in seinem Vortrag, eindrucksvoll die Umstände und Atmosphäre jenes aufsehenerregenden Prozesses zu vermitteln, in dem alleine sieben Monate vergingen, bis die Anklage verlesen werden konnte; davor wurde vor allem um Verfahrensfragen gerungen. Eilig habe die damalige Bundesregierung Gesetze geändert, um Verteidiger aus Prozessen ausschließen und Angeklagte in Abwesenheit verurteilen zu können. Gemeinschaftliche Verteidigung mehrerer Angeklagter wurde verboten, die Zahl der Verteidiger begrenzt. „Man war damals der Meinung, dass für diesen Prozess Sondermaßnahmen ergriffen werden müssten“, so von Plottnitz, der an zahlreichen Beispielen darstellte, dass die Ausnahme und nicht die Regel das Verfahren bestimmte. So war für den Prozess aus Sicherheitsgründen ein eigenes Gebäude neben dem Gefängnis errichtet worden. „In den Zellen für Besprechungen wurde abgehört, auch ich bin wahrscheinlich betroffen gewesen.“
Der Vorsitzende Richter hatte vor dem Prozess noch von einem „ganz normalen Straffall“ gesprochen, so von Plottnitz, während des Verfahrens schloss er zahlreiche Verteidiger aus unterschiedlichen Gründen vom Prozess aus: einige hatten ihren Mandanten Unterlagen mitgebracht, andere sogar Waffen. „Die Bundesanwaltschaft prägte die Meinung, die Anwälte seien Komplizen der angeklagten RAF-Mitglieder. Solche Vorfälle machten es schwer, dem gegenüber zu treten,“ berichtete Rupert von Plottnitz, der ebenfalls nach sieben Monaten durch Entpflichtung vom Verfahren ausgeschlossen wurde. Der Grund: Seine Art der Äußerung hätte eine Durchführung des Prozesse unmöglich gemacht. „Ich habe kürzlich die Tonbandaufzeichnungen des Stammheimer Gerichtsprozesses angehört und war über meinen eigenen Tonfall verwundert und erschrocken“ bekannte von Plottnitz, „aber in der Sache war alles okay, was ich gesagt habe.“
Rupert von Plottnitz war ab 1975 Vertrauenspflichtverteidiger von Jan-Carl Raspe, der an fünf Bombenanschlägen mit vier Todesopfern beteiligt war. Die Strategie der Verteidiger in diesem Prozess, der „in einer sehr angespannten Atmosphäre stattfand“, bestand zunächst darin, die Verteidigung zu gewährleisten und um Verfahrensrechte zu kämpfen. Ziel der Angeklagten war die politische Verteidigung, ihre Statements dementsprechend. Angesprochen auf seine eigene Einstellung erklärte von Plottnitz: „Ein Verteidiger vertritt das Bedürfnis des Angeklagten vor Gericht. Er sollte ein Mandat nicht übernehmen, wenn er befangen ist und denkt, der Angeklagte gehört möglichst lange weggesperrt.“ Raspe wurde am 28. April 1977 nach fast zweijähriger Verhandlung und 192 Verhandlungstagen zu lebenslanger Haft verurteilt. Am 18. Oktober 1977 starb er, nachdem er sich mit einer Pistole in den Kopf geschossen hatte.
Willy Brandt hatte 1972 gefordert, man solle den Protesten mit der „ruhigen Gelassenheit des Rechtsstaats“ begegnen, dessen Mittel und Instrumente ausreichten, um politische Gewalt und Terrorismus entschlossen zu verfolgen und wirksam zu bekämpfen. Rupert von Plottnitz bedauerte, dass dieser Aufruf folgenlos geblieben ist. Seiner Meinung nach ist in dieser Zeit „viel rechtsstaatliche Substanz auf der Strecke geblieben“, die Gesetzesänderungen seien nie rückgängig gemacht worden.
Die Rote Armee Fraktion beschäftigt bis heute die Justiz: so wurde kürzlich von der Bundesanwaltschaft gegen Verena Becker ein Ermittlungsverfahren wegen Mordverdachts eingeleitet; sie soll am Anschlag auf den deutschen Generalbundesanwalt Siegfried Buback im Jahr 1977 beteiligt gewesen sein. Plottnitz sieht dieses Verfahren, in dem auch die Opferinteressen eine Rolle spielen, als Chance zu zeigen, dass auch gegen die RAF ein Prozess nach den Regeln des Rechtsstaats durchgeführt werden kann. An den Vortrag schloss sich eine lebhafte Diskussion an, die von Professor Artur Kreuzer, Vorsitzender des Vereins Criminalium, moderiert wurde.
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